Unter den 13 in Europa vorkommenden Eulenarten ist die Schleiereule in mancherlei Hinsicht eine herausragende Erscheinung. Schon äußerlich ist sie durch ihren einteiligen herzförmigen Gesichtsschleier von allen anderen Eulen unterschieden. Zusammen mit anderen Besonderheiten hat dies dazu geführt, dass die Gruppe der Schleiereulen als eigene Unterfamilie den restlichen Eulen gegenübergestellt wird. Eine weitere Besonderheit ist ihre Kulturfolge: Schleiereulen wählen ihre Brutplätze praktisch ausschließlich innerhalb menschlicher Siedlungen.

Eule 1

Schleiereulen haben unter den Eulen und den ökologisch vergleichbaren Greifvögeln eine einmalige Strategie des Überlebens entwickelt. Die Vorfahren unserer heimischen Schleiereule stammen vermutlich aus den Tropen; in unseren gemäßigten Breiten liegt ihre nördliche Verbreitungsgrenze.

Ein Großteil der Tierarten dieser Gebiete bewältigen den Winter durch Anlegen einer Fettreserve für Notzeiten oder durch irgendeine Form der Winterruhe. Nicht so die Schleiereule: Sie kann kein Reservefett anlegen und ist bis heute eigentlich “nicht winterhart” geworden.

Die daraus resultierende hohe Wintersterblichkeit hat bei den Schleiereulen unserer Heimat zu einer besonderen Anpassungsstrategie geführt, indem die hohen Winterverluste durch eine unglaublich große und variable Fortpflanzungsstrategie ausgeglichen werden. Schleiereulen haben die Strategie des “Gelegenheitsbrütens” wie keine andere beute greifende Vogelart optimiert.

Schleiereulen nutzen zwar ein sehr breites Nahrungsangebot, haben aber ihren Brutrhythmus bei uns besonders auf die Bestandsschwankungen der Feldmaus eingestellt: In schlechten Mäusejahren werden nur wenige Junge aus kleinen Gelegen aufgezogen, in Jahren eines Massenvorkommens von Feldmäusen dagegen bis zu 12 und mehr Junge aus großen Gelegen. Darüber hinaus kommt es in solchen Jahren regelmäßig zu Zweit-, zum Teil sogar zu Drittbruten. Dies ist dadurch möglich, dass die Schleiereule in punkto Fortpflanzungsbereitschaft den Rekord unter den Eulen und Greifvögeln hält: ihre Brutbereitschaft erstreckt sich über mehr als sechs Monate.

Doch damit, dass Schleiereulen die größten Gelege unter den Eulen überhaupt zustande bringen und andererseits ihre Kräfte in Mangeljahren schonen können, ist die Liste dieses Anpassungsphänomens noch nicht erschöpft. So können bei Nahrungsüberschuss junge Schleiereulen sich gegenseitig füttern, was für die gerechte Verteilung des Futters durchaus von Bedeutung ist. Denn die Schleiereule fängt vom ersten Ei an zu brüten, so dass die Jungen im Abstand von mehreren Tagen nacheinander schlüpfen und so eine rechte “Orgelpfeifengesellschaft” bilden. Umgekehrt sterben bei plötzlichem Nahrungsmangel nicht alle Jungeulen, sondern die ältesten und stärksten haben auf Kosten der übrigen noch relativ gute Überlebenschancen.

Durch diese Strategie waren Schleiereulen in der Vergangenheit in der Lage, “Sterbewinter”, in denen bis zu 90 Prozent der Bestände umkamen, innerhalb weniger Jahre wieder auszugleichen. Dass sie dennoch in ihrem Bestand in vielen Teilen Deutschlands so stark zurückgegangen sind, dass sie bundesweit in die “Rote Liste” der gefährdeten Vogelarten aufgenommen werden mussten, hängt in erster Linie mit dem Verlust an geeigneten Brutplätzen und ruhigen Tageseinständen zusammen.

Eule 2

Text: NABU

Bilder: NABU-RSK

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